Zahnarzt & Soziales
-
06
.
11
.
19
Wäre es nicht gut, wahre Geschichten von Frauen in unserer Profession zu sammeln, die Übergriffe jeder Art, Erniedrigung, Ausgrenzung, Zum-schweigen-gebracht-werden u.ä.m. erlebt haben. Der Gedanke ist, Frauen anzubieten, diese Erlebnisse mitzuteilen - gegebenenfalls gemeinsam eine druckreife Fassung aufzuschreiben - und diese in vollständig anonymisierter Form zu veröffentlichen und aufzuarbeiten.
Aber auch Männer, die genderabhängig Demütigungen erlebt haben, müssen zu Wort kommen.
Die Gemeinsamkeit der Geschichten sollte sein: Was Frauen und Männer aufgrund ihres Geschlechts in der zahnärztlichen Profession erleben mussten. Ebenso aber auch, was Zahnärzte und Zahnärztinnen genderabhängig anderen angetan haben.
Das Setting ist denkbar vielfältig:
Der Assistent an der Uni, der einer Studentin mal eben anden Po greift... oder für Testate Gefälligkeiten erwartet… Der Gutachter, der das „kollegiale Gespräch“ für unflätige, provokante Bemerkungen über seine Kollegin verwendet… Der Referent, der vor überwiegend männlichen Zuhörern in der zahnärztlichen Fortbildung über „Frauen in der Horizontalen“ spricht... Die ehrgeizige Gleichstellungsbeauftragte, die grundsätzlich ratsuchende Frauen mundtot macht… Der Bankfilialleiter, der Mann und Frau ungleich behandelt… Der Zahnarzt, der seine Angestellten unangemessen behandelt… usw.
Ich glaube, wir stehen ganz am Anfang. Zuerst braucht es die Anonymität, damit wir von diesen Dingen wissen.
Dann kommt vielleicht die Freiheit für ein „ME“ - ich habe es erlebt. Dann das ME TOO.
Zuletzt kann ein „Er“ benannt werden.
Würde eine Studentin heute sagen: „Herr Dr. X legte im leeren Treppenhaus plötzlich den Arm um mich und zog mich zu sich“ – man würde es doch gar nicht erwähnenswert finden und Toleranz als alternativlos betrachten. As usual. Doch würde ein Student erzählen „Frau Prof. X legte plötzlich den Arm um mich …“, dann spüren wir viel deutlicher die Grenzüberschreitung und seine Beschwerde würde vielleicht Gehör finden.
Mein Eindruck ist, dass es noch gar keine Plattform gibt. In zwei Fällen hatte ich mich an Frauenbeauftragte gewandt, jedoch immer ein Drängen erlebt, mit dem Ziel, dass ich die Beschwerde zurückziehen soll… Im ersten Fall gab ich nach; danach passierte etwas für mich ganz Überraschendes: die Gleichstellungsbeauftragte erhielt eine offizielle Ehrung und machte einen Sprung auf der Karriereleiter.
Meine eigenen Erlebnisse mit Gender-Problematik sind vielleicht „nicht schlimm“, aber zu viele.
Wirklich bedrückend finde ich den Gedanken, dass es Geschichten gibt, die schlimmer sind als meine eigenen und von denen niemand weiß.
Von denen die meisten in der Profession sagen würden: Das geht mich nichts an.
Oder aber: Wir haben es nicht gewusst.
Brigitte Rohdich, 06.11.2019
Brigitte Rohdich