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Rationierung und Priorisierung in der basalen Versorgung von Kindern

Zitat Artikel 24 [Gesundheitsvorsorge], Zitat aus: https://www.kinderrechte.de/kinderrechte/un-kinderrechtskonvention-im-wortlaut/#c3241
„(1)    Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit. Die Vertragsstaaten bemühen sich sicherzustellen, dass keinem Kind das Recht auf Zugang zu derartigen Gesundheitsdiensten vorenthalten wird.
(2)    Die Vertragsstaaten bemühen sich, die volle Verwirklichung dieses Rechts sicherzustellen, und treffen insbesondere geeignete Maßnahmen, um [...] sicherzustellen, dass alle Kinder die notwendige ärztliche Hilfe und Gesundheitsfürsorge erhalten [...]“

 

Zitat aus dem Originaltext zum Budget für zahnärztliche Behandlungen:

"Wie wird die garantierte Kons-Chirurgie Vergütung ermittelt? Für jede Praxis wird die von der KZVB ermittelte Anzahl der Behandlungsfälle pro Gruppe mit dem jeweiligen Budgetbetrag multipliziert. Die Gesamtsumme aus diesen Teil-Budgetsummen ergibt die der Praxis zur Verfügung stehende Gesamtbudgetsumme aus dem Bema-Teil 1. Die so gebildete Budgetsumme steht der Praxis kalenderjährlich als maximales garantiertes Abrechnungsvolumen [...] für konservierend-chirurgische Behandlungsleistungen und Röntgenleistungen zur Verfügung." [aus: https://www.kzvb.de/abrechnung/honorarverteilungsmassstab]

 

 

Konfligiert also die UN-Kinderrechtskonvention mit einer Budgetierung von zahnerhaltenden Maßnahmen bei Kindern?

Mit Erstaunen liest sich der HVM - der Honorarverteilungsmaßstab mit Fallgrenzwerten für die zahnärztliche Behandlung durch das GKV-FinStG.

Denn Ausnahmen für Kinder und Jugendliche gibt es bei diesen Fallgrenzen nicht!

Betroffen ist hier also auch die zahnerhaltende Behandlung mit den ganz alltäglichen, notwendigen Füllungen bei Kindern, sogar an bleibenden Zähnen.

 

Dies begründet eine Sorge:

Das GKV-FinStG kann mit den UN-Kinderrechten konfligieren. 

Tatsache ist:

Jedes Kind und insbesondere Kinder aus sozial schlecht gestellten Verhältnissen sind auf die Sicherheit eines sozialen Systems angewiesen, das ihre basale gesundheitliche Versorgung nicht rationiert oder gar "weg-priorisiert".

Daher dürfen Kinder und Jugendliche in einem Gesundheitssystem niemals zum Objekt der Rationierung oder Priorisierung werden. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein und ist im Übrigen auch in den UN-Kinderrechten für Deutschland konkret festgelegt.

Der Honorarverteilungsmaßstab sieht aber nur einen begrenzten Betrag für die konservierende Versorgung vor.

Wenn Kinder mit einem hohen Sanierungsbedarf dementsprechend nicht alle notwendigen Füllungen erhalten können, die sie brauchen, dann entspricht dies ethisch einer
RATIONIERUNG einer basalen Gesundheitsversorgung bei Kindern.

Und was geschieht mit dem Gesamtbudget einer Praxis, wenn der Zahnarzt - beispielsweie in einer prothetischen Schwerpunktpraxis - sehr viele erwachsene Patienten mit Kronen versorgt und dabei zwangsläufig jede Aufbaufüllung pro Zahn in der Abrechnung mitgezählt wird? Um seine Praxis vor Regressen zu schützen und damit statistisch nicht zu viele Füllungen das Budget belasten, könnte er bei Kindern etliche Füllungen prospektiv einfach gar nicht machen, d.h., die Karies der Kinder wegen der HVM-Situation unversorgt lassen.

Das wäre ethisch eine
PRIORISIERUNG einer basalen Gesundheitsversorgung zu Gunsten von Erwachsenen und zu Lasten von Kindern mit der Folge einer

UNTERVERSORGUNG von Kindern.

 

Doch was folgt nach einer Rationierung von Füllungen und der Unterversorgung von Kindern?

... Zahnschmerzen, Abszesse, Extraktionen von betroffenen Milchzähnen unter Antibiose, Versorgung mit Lückenhaltern, ggf. Einbruch der Stützzonen, ggf. nachfolgende kieferorthopädische Behandlung, ggf. Extraktion bleibender Zähne wegen verkürzter Stützzone: Bei bleibenden Zähnen mit unversorgter, profunder Karies Wurzelbehandlungen, ggf. Extraktionen, ggf. nachfolgende kieferorthopädische Behandlungen für den Lückenschluss oder prothetische Behandlungen oder Entstehung eines unversorgten Lückengebisses, Bissenkung mit damit verbundenen Problematiken bis hin zur desolaten Bisssituation.

 

Es liegt auf der Hand: Gerade deshalb - um grundsätzlich eine Unterversorgung von Kindern abzuwenden - wurde die "volle Verwirklichung", das "Höchstmaß an Gesundheit" in den UN-Kinderrechten verbrieft. Und von Deutschland unterschrieben. 

Das UN-Kinderrecht kann jedoch durch die Budgetierung der Gesundheitsleitung für Kinder relativiert werden.

Es ist unmöglich, Kinder dafür zu bestrafen, dass ihre Zähne multipel kariös sind.

Ein Zahnarzt kann 5- oder 8-jährige Kinder nicht dazu „erziehen", weniger Karies zu haben, wenn die Zähne bereits kariös sind.

Die Profession kann es auch nicht tolerieren, die Gesundheit gerade derer zu kompromittieren, die in schlechteren sozialen Verhältnissen leben.

Man darf die betroffenen Kinder nicht gesundheitspolitisch regulieren oder gar Lückengebisse im Kindes- und Jugendalter politisch wollen!

Kinder sind keine Zahlen. Wie absurd ist das!

Was wäre geboten?

Wenn im Gesundheitssystem weitere Einsparungen nötig sind, dann erfordert es die ärztliche Ethik, dass zuerst eine Abwägung zu Rationierung und Priorisierung durch die Ethik erfolgt. Also z.B.: Soll die GKV die Grauer-Star-Op bezahlen oder doch lieber den Zahnerhalt?

Sobald denkbar ist, dass auf Kosten der Kinder gespart wird, muss die Profession reagieren.

Wenn eine politische Entscheidung zur RATIONIERUNG UND PRIORISIERUNG AUF KOSTEN DER KINDER führen kann, ist ein Diskurs zur Ethik in der Profession geboten, ein wohlüberlegtes Abwägen, eine Stellungnahme der DGZMK AK Ethik und ein gesellschaftliches gemeinsames Überlegen.

 

Die Sorge ist begründet.
RATIONIERUNG UND PRIORISIERUNG in einem HVM, der eingeschränkte Leistungen für Kinder inkludiert, kann zu Einbußen der Zahngesundheit bei Kindern führen, zur Unterversorgung und erheblichen Folgeschäden bei unseren jungen und allerjüngsten Mitbürgern, zur Verhärtung eines sozialen Gefälles - bei sehr überschaubaren Einsparungen auf Seiten der Krankenkassen und bei absehbaren, erheblichen zukünftigen Folgekosten.

 

Daraus folgen ethische Prämissen:

Basale gesundheitliche Leistungen für Kinder und Jugendliche dürfen von einer Budgetierung grundsätzlich nicht erfasst werden.

Die Sorge um unsere Patienten im Kindes- und Jugendalter ist von der Profession klar auszusprechen! Es ist ihre professionelle Pflicht.

Das "Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit" wurde von Deutschland in der UN-Kinderrechtskonvention zugesichert und darf durch eine Budgetierung nicht angetastet werden.  

 

Brigitte Rohdich